Essay

Vom Schreiben und vom Träumen

Es war einer dieser denkwürdigen Tage, an dem eine Mitschülerin einen noch viel denkwürdigeren Satz zu mir sagte: „Machst du das denn freiwillig?“
Sie meinte das Schreiben. Das Schreiben, das ich so als Hobby betreibe wie andere Klavierspielen oder Tennis. Vielleicht sogar noch mehr als das, denn oft empfinde ich das Schreiben als Berufung. In meinem Leben hatte ich schon viele Interessen, aber sie haben sich über kurz oder lang verloren – bis auf das Schreiben.
Mir war immer schon jedes Mittel recht. Stift, Notizbuch – liebevoll Kritzelbuch genannt – oder auch der steril-unästhetische Computer: Solange sich damit schreiben läßt, ist jedes Ding mein Freund. Falls ich nicht gerade eine Schreibblockade habe, werde ich unleidlich, wenn ich mehrere Tage am Stück nicht dazu komme, zu schreiben.
Aber für viele Mitmenschen ist das eine eigenartige, fragwürdige Freizeitbeschäftigung. Schreiben kennt man normalerweise nur als ungeliebte Pflichtübung aus der Schule, die in Form einer Hausaufgabe wichtige Zeit zum Fernsehen oder Abhängen stiehlt.
Dabei ist es viel mehr als das – und ja, ich mache es freiwillig. So freiwillig, daß es schon wieder ein Zwang ist.

Schreiben ist, und das bedauere ich sehr, normalerweise eine ungesellige Beschäftigung. Es sei denn, man nutzt dazu den Computer und dessen angenehme Nebeneffekte als Kommunikationsmittel. In den Weiten des Internets durfte ich feststellen: Ich bin kein Männchen vom Mars, weil ich schreibe – nein, es gibt da draußen Gleichgesinnte!
Was man vor allem aber auch kennenlernt, wenn man seine schriftstellerischen Werke zur allgemeinen Begutachtung freigibt, ist die mehr oder minder nützliche Kritik. Es gibt also diese zwei Arten von Kritik: Die Verbreitung der eigenen Miesepetrigkeit – „Ich finde deine Figur XY richtig schlecht!“ – was einem Schreiber in etwa so nützlich erscheint wie ein Stiefel ohne Sohle, oder aber konstruktive Gedanken wie „verwende doch auch mal einige Adjektive und beschreibe die Leute, anstatt sie namentlich zu benennen, WEIL“. Damit kann unsereins arbeiten, denn es spricht vom Handwerkszeug.

Stephen King – nach den Verkaufszahlen zu urteilen ein bekannter und beliebter Autor – spricht selbst vom „Werkzeug“ eines Autors und rät dem geneigten Leser und Selbst-Schreiber, die Werkzeuge in einen Kasten zu sortieren. Das „täglich Brot des Schriftstellers“(1), der Wortschatz, findet dabei seinen Platz ganz oben. Ermutigend sagt er darüber: „Was den angeht, können Sie ohne das geringste Schuld- oder Minderwertigkeitsgefühl alles einpacken“. Denn nicht die Menge, sondern der Einsatz entscheidet. Dazu sagt er: „Eines der schlimmsten Dinge, die man der eigenen Sprache antun kann, ist, das Vokabular schön herauszuputzen und nach komplizierten Wörtern zu suchen, nur weil man sich ein bißchen für die vielen einfachen schämt.“(2) Ein schöner Satz mit vielen einfachen Worten, aber so gestrickt, daß er bis zum Punkt unterhält.
Und das ist gerade die Kunst: Unterhaltend zu schreiben. „Leser lassen sich im großen und ganzen nicht von der literarischen Qualität eines Buches zum Kauf animieren; sie wollen eine gute Geschichte mit ins Flugzeug nehmen, die sie fesselt, hineinzieht und zum Umblättern zwingt.“(3) So weit Stephen King. Jeder Autor muß sich darüber klar werden, was er sein möchte: Der nächste Literaturnobelpreisträger, dessen gähnend langweiliges, feinsinniges Werk in einer elften Klasse genüßlich im Deutschkurs zerrupft wird, oder der Straßenfeger, den jeder zweite Fahrgast in der U-Bahn verschlingt und erst zuklappt, wenn die Haltestelle fast schon wieder vorbei ist.

Aber wie macht man das? Wie schreibt man unterhaltsam? Auch dazu braucht man Kings „Werkzeugkasten“. Neben einem lebendigen, abwechslungsreichen Wortschatz braucht es eine gute Kenntnis der Grammatik und einen eigenen Stil. Letzteren findet man durch viel Übung und Vergleiche, durch Nachahmung und auch Abgrenzung. „So wie sich fast jeder daran erinnern kann, wie er seine Jungfräulichkeit verlor, können sich die meisten Schriftsteller an das erste Buch erinnern, das sie mit dem Gefühl zur Seite legten: Das könnte ich besser. Nein, das kann ich schon längst besser! Was könnte ermutigender sein für einen von Selbstzweifeln geplagten Autor, als festzustellen, daß seine Arbeit fraglos besser ist als das Werk eines anderen, der sogar Geld dafür bekommen hat? Am deutlichsten sieht man, wie man es nicht machen soll, wenn man schlechte Bücher liest.“(4) Klingt unorthodox, ist aber ein weiser Ratschlag des Herrn King.

Das Schreiben ist mein ständiger Begleiter. Es jagt mich wie ein Schatten und es kann durchaus sein, daß ich beim Backen oder Duschen oder nachts im Schlaf die Ideen des Jahrtausends habe. Ganze Geschichten entstehen aus solchen Geistesblitzen. Gut, wenn man in solchen Situationen gleich zum Kritzelbuch greifen und alles aufschreiben kann. Gelegentlich sollte das seinerzeit auch im Matheunterricht stattfinden…
Das Schreiben ist meine Erfüllung. Allerdings muß ich zugeben, daß es nur in Ausnahmefällen – wie etwa einer verkorksten und völlig unglaubwürdigen Geschichte, deren Wahrheitsgehalt bestenfalls meinen senilen Hamster beeindrucken würde – befriedigend ist, für die Schublade zu schreiben. Meiner Meinung nach macht ein Schreiber, der seine Werke nicht zeigen möchte, etwas falsch. Oder hat einfach nur sein Ego morgens auf dem Bettvorleger vergessen.

Ich möchte gelesen werden, ich möchte eine Geschichte erzählen und unterhalten. Auf keinen Fall möchte ich einer der Autoren werden, deren Bücher man nach (oder beim?) Lesen mit dem Gedanken weglegt, wie so etwas gedruckt werden konnte. Mein Traum ist es, Lesern die Freude zu bereiten, die ich beim Schreiben habe. Und ich finde, jeder braucht einen solchen Traum.

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Quellen:
Stephen King, Das Leben und das Schreiben. Heyne Verlag, München, 3. Aufl. 2002
1 S. 127
2 S. 130
3 S. 176
4 S. 160f.