Leseprobe 1: Schreckensnachricht

Es war ein bewölkter, windiger Tag und mir war danach, meinen Umhang zu holen, aber ich hatte keine Lust aufzustehen. Also blieb ich sitzen, schwatzte mit Gwinnath und frönte der Faulheit, als ich plötzlich meinen Namen hörte.
„Caelidh! Wo zum Henker steckst du denn?“
Leidenschaftliche Flüche gehörten zu Uilea. Ich erhob mich und hielt Ausschau nach ihr, denn ich wußte, sie war heute die Briefbotin. Also hatte sie etwas für mich.
Hinter den Büschen entdeckte ich sie schließlich. Sie war nicht allein, und Augenblicke später stellte ich zu meinem Erstaunen fest, daß sie einen jungen Mann bei sich hatte. Mehr erkannte ich auf Anhieb nicht.
„Hier“, rief ich und lief auf sie zu. Wir hatten Besucher? Das kam selten vor.
„Caelidh, endlich! Ich habe schon das halbe Lager zusammengerufen und du steckst hier!“ rief Uilea mir entgegen.
Ich stutzte. Der Besucher hatte die Augen verbunden und gefesselte Hände, so wie wir es mit allen Besuchern hielten, die herkommen wollten. Niemand durfte den Weg kennen und da die Botinnen stets allein waren, hatten sie das Recht, Besucher zur Sicherheit zu fesseln.
Merkwürdig war aber, daß ich glaubte, ihn zu kennen. Ich konnte es nicht gleich sagen, doch als ich vor ihnen stand, stand mir schon der Mund vor Verblüffung offen und ich wollte etwas sagen. Uilea kam mir jedoch zuvor.
„Der Lümmel hier will zu dir. Er hat mir irgendein wirres Zeug von Hertstol, deiner Schwester und Soldaten erzählt, frag mich nicht… er behauptet, er sei der Mann deiner Schwester.“
„Das ist er. Iaroth, was tust du hier? Warte.“ Ich trat vor ihn, nahm ihm die Augenbinde ab und wollte schon seine Fesseln lösen, doch zuerst schrak ich zurück. Er trug noch eine zweite Binde im Gesicht, über dem linken Auge. Er hatte Schrammen auf der Wange, ihm fehlte ein Zahn, sein Hemd war verdreckt und zerrissen. Uilea drückte mir seinen Dolch in die Hand.
„Iaroth, warum bist du hier?“ fragte ich und spürte, wie eisiges Entsetzen in meine Knochen kroch. Hastig löste ich seine Fesseln und gab ihm seine Waffe zurück.
Sein verbliebenes Auge füllte sich mit Tränen. Wortlos umarmte er mich, dann wischte er mit der zitternden Hand über sein Auge und schnappte nach Luft.
„Ich brauche deine Hilfe“, sagte er tonlos, während er wild mit den Händen herumfuchtelte. „Caelidh… ich wußte nicht, was ich sonst noch tun soll.“
„Was ist los?“ Ich nahm im Augenwinkel eine Bewegung wahr und sah Gwinnath. Uilea war ebenfalls geblieben.
„Das Dorf… es ist überfallen worden. Von Soldaten. Soldaten des Königs… sie haben alles niedergebrannt. Sie haben getötet und geraubt und dann…“ Seine Finger gruben sich in sein Hemd. „Sie haben Fianna mitgenommen.“
Es war wie ein Faustschlag in den Magen. Schlagartig wurde mir übel und eiskalt, mein Herz begann zu rasen, meine Finger zitterten.

„Was heißt das?“ fragte ich. „Was heißt mitgenommen?“
„Ich… ich weiß es nicht. Frag mich nicht. Beim Versuch, sie zu hindern, haben sie mich niedergeschlagen und ich habe den Griff eines Schwertes ins Gesicht bekommen. Ins Auge. Sie haben es mir halb ausgeschlagen und dann hat die Heilerin es entfernen müssen. Ich war beinahe bewußtlos. Ich konnte sie nicht aufhalten.“
„Bitte nicht…“ Meine Knie wurden weich und Gwinnath schlang einen Arm um mich, weil sie spürte, daß ich die Fassung verlor. Die Tränen, die mir die Kehle zuschnürten, konnte ich nicht zurückhalten. Ich schnappte nach Luft, dann verschwamm alles vor meinen Augen und ich schrie vor Wut auf. Hastig wischte ich mir über die Augen und fuhr mir durchs Haar.
„Ich will, daß du mir alles erzählst“, sagte ich mit zitternder Stimme. „Komm mit… brauchst du irgendwas? Hast du Hunger, Durst?“
Er schüttelte den Kopf. Ich griff nach seiner Hand und eilte mit ihm und den anderen ins Lager. Wir setzten uns an einen der Tische, ich ihm gegenüber, und legte eine meiner Hände auf seine. Gwinnath und Uilea setzten sich dazu.
„Bitte erzähl es mir“, sagte ich.
„Deine Hand ist eiskalt“, erwiderte er.
„Deine auch.“
Er nickte. „Es ist jetzt… fünf Tage her, glaube ich. Keine Ahnung. Es war noch früh am Morgen, aber ich war auf, weil wir ein kalbendes Rind notschlachten mußten. Ich dachte noch, ich bilde mir die Fackeln auf dem Weg zum Dorf ein, aber dann kamen sie. Ich war hinter dem Haus und hörte sie kommen, sah wie das erste Dach Feuer fing. Jemand brüllte über die Straße, wo wir die Schwester der Klinge verstecken würden…“ Er schüttelte verzweifelt den Kopf und ich spürte, wie sich Verzweiflung um mein Herz krampfte. Bitte nicht noch meinetwegen.
„Sofort waren alle auf den Beinen. Die Männer haben sich mit allem bewaffnet, was sie finden konnten, aber die ersten wurden gleich niedergemacht. Sie haben die Frauen herumgehetzt und sich amüsiert, haben die Kinder gescheucht, sind in die Häuser gestürmt und haben alles verwüstet. Sie haben sogar Tiere getötet, nur um uns zu schaden. Es war ihnen gleich. Sie haben das halbe Dorf in Brand gesteckt, aber sie haben nicht wirklich nach dir gesucht. Sie haben es nur das eine Mal gesagt. Vielleicht meinten sie dich nicht einmal und haben es nur behauptet; ich weiß es nicht.“

„Was ist mit meinen Eltern?“ fragte ich.
„Es geht ihnen gut. Dein Vater hat keine Waffe benutzt und so haben sie sie nicht angegriffen. Euer Haus ist unversehrt. Aber bei uns…“ Er schloß die Augen und sammelte sich. „Wir waren ja alle auf den Beinen. Während die meisten Soldaten ins Dorf liefen, blieben auch einige vorn und drei kamen in unser Haus. Ich hatte Fianna zu mir geholt und suchte gerade nach meinem Dolch, den mein Großvater mir vererbt hat. Ich hörte, wie sie unten meinen kleinen Bruder einschüchtern wollten, und meine Mutter hat geweint. Mein Vater hat versucht, sie um Nachsicht zu bitten, und dann kamen zwei von ihnen hinauf, weil sie gesehen hatten, wie ich hochgelaufen war. Ich hielt den Dolch gerade in den Händen und wollte deine Schwester bitten, aus dem Fenster zu klettern, als sie vor uns standen. Erst wollten sie nichts, suchten nur Schätze, aber dann ist sie ihnen aufgefallen.“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß Uilea zusammenzuckte.
„Einer ging an mir vorbei und sagte irgendetwas Widerwärtiges, etwas Anzügliches. Ich wollte ihn angreifen, aber da mischte der andere sich ein und bedrohte mich mit dem Schwert. Der eine Kerl drückte Fianna an die Wand und hat sie angefaßt, da bin ich ausgerastet. Ich habe die Kerle angegriffen, bin einem auf den Rücken gesprungen und habe ihn verletzt, aber da schlug der andere mir mit dem Schwertgriff ins Gesicht und dann lag ich da.“ Er senkte den Kopf. „Ich kam nicht mehr hoch. Auf einem Auge konnte ich nichts sehen, mein Dolch lag irgendwo und sie packten Fianna zu zweit und zerrten sie hinaus. Ich hatte Schmerzen, kam nicht hoch, ich hörte sie nur schreien. Einer sagte, daß sie dem König sicher sehr gefallen würde. Sie wollten sie, weil sie so hübsch ist… sie wollten sie haben. Meine Frau… sie ist doch meine Frau!“ Zuletzt brüllte er fast. „Einer fragte mich noch, ob sie gut sei…“
Er sprach nicht mehr weiter, sank schluchzend in sich zusammen. Obwohl auch mir Tränen tiefen Zorns in den Augen brannten, stand ich auf, ging um den Tisch herum und umarmte Iaroth von hinten. Weinend klammerte er sich mit einer Hand an meinen Unterarm und war kaum noch zu beruhigen. In diesem Augenblick wollte ich ihm so sehr helfen, daß ich meinen eigenen Schmerz kaum spürte. Stattdessen war da ein taubes Gefühl, ein leeres Nichts.

Als ich Gwinnaths Hand auf meiner Schulter spürte, drehte ich mich um.
„Es tut mir so leid für dich“, sagte sie leise.
„Was?“ fragte ich verständnislos. „Daß sie meine Schwester geraubt haben?“
Sie nickte betreten. „Du weißt, was das heißt.“
Ich lockerte meinen Griff um Iaroth. „Nein, weiß ich nicht.“
Gwinnath scharrte mit dem Stiefel in der Erde herum. „Die Zitadelle von Carmoth. Wenn sie dort einmal angelangt ist, ist sie verloren, das weißt du…“
„Nein, weiß ich nicht!“ wiederholte ich wütend. „Was willst du damit andeuten? Sie ist meine Schwester!“
Iaroth drehte sich zu mir um und schaute zu mir auf. „Danke, daß du das sagst.“
„Daß Fianna meine Schwester ist?“ fragte ich verwirrt.
„Nein… daß du sie befreien willst. Du bist der erste Mensch, der das nicht in Abrede stellt.“
„Das glaube ich…“ murmelte Gwinnath.
„Das ist doch verrückt!“ rief ich empört. „Du tust ja gerade, als sei sie schon tot! Aber das ist sie nicht. Sie können sie entführen, ja. Sie können sie meinetwegen schänden und foltern, das kann ich nicht verhindern. Aber ich hole sie zurück. Sie wird nicht sterben. Nicht solange ich ein Schwert zu führen vermag.“
„Danke…“ wisperte Iaroth tonlos, während Gwinnath entgeistert den Kopf schüttelte. Wortlos stapfte sie davon.
„Danke für die Unterstützung!“ rief ich zornig, dann setzte ich mich neben Iaroth. „Was ist dann passiert?“

Er überlegte kurz, dann antwortete er. „Meine Mutter kam hoch. Sie war außer sich, als sie sah, daß ich aus dem Auge blutete. Ich habe es selbst nicht gesehen, nur das Blut auf der Kleidung. Die Soldaten waren fort, als sie mich zur Heilerin schleiften und sie mir das Auge herausnahm… das war grauenvoll, das kannst du mir glauben. Solche Schmerzen hatte ich noch nie. Und ich weiß, daß ich nur gebrüllt und getobt habe und Fianna suchen wollte. Ich konnte zwar kaum laufen, aber ich ging hinaus und ich bat jeden um Hilfe, den ich sah. Niemand wollte mit mir gehen und sie verfolgen, niemand. Dann bin ich zu deinen Eltern gegangen und habe es ihnen gesagt.“
„Das war sehr mutig.“
Er nickte unbescheiden. „Es war hart. Ich habe ihnen nicht gesagt, was diese Kerle mir angedroht haben, aber sie konnten es sich denken. Deine Mutter fragte mich, ob ich ihr Kind zurückholen würde und ich habe es ihr versprochen. Ich bin den ganzen Tag herumgelaufen und habe alle gefragt, aber es war nur Fianna, die fort war, und niemand wollte mir helfen. Irgendwann bin ich zusammengebrochen und erst am nächsten Tag wieder aufgewacht. Ich habe versucht, in den anderen Dörfern Hilfe zu finden, aber auch sie waren überfallen worden und niemand war bereit, mitzukommen. Alle sagten mir, meine Frau sei verloren. Sie erzählten mir die gruseligsten Dinge und sagten, sie würden sie töten und ihr Blut trinken. Ich habe keine Ahnung. Unsere Hochzeit ist drei Monate her und ich wollte noch Kinder mit ihr. Das tun die uns nicht an!“
„Du liebst sie wohl sehr, nicht?“ fragte Uilea ihn.
„Natürlich! Sie ist doch meine Frau, was glaubst denn du?“ Er seufzte. „Selbst meine Eltern und mein Bruder sagten mir, ich solle mir einfach eine neue Frau suchen…“
„Na prima“, knurrte ich.
„Da war mir klar, daß ich nur hier Hilfe finden kann. Bei dir. Dein Vater hatte die Idee. Also bin ich hergekommen. Du warst meine letzte Hoffnung.“
„Und die nehme ich dir nicht“, sagte ich. „Aber zu zweit kommen wir nicht weit. Du bist nicht einmal im Kampf ausgebildet. Ich muß mit Saia Cathernin sprechen und sie bitten, uns eine Abordnung Kriegerinnen zur Seite zu stellen. Ich will meine Schwester retten.“
Iaroth nickte, dann half ich ihm auf, um mit ihm zu Saia Cathernin zu gehen. Mir graute davor, denn ich hatte sie noch nie um etwas gebeten. Aber es ging hier um meine Schwester, und da gab es nur einen Weg.