Leseprobe: Der königliche Ball

„Ist Euer Schwert nicht aus Silber?“ erkundigte einer der Fürsten sich, ehe er sich weinselig über den Tisch lehnte.
Marthian nickte. „Es ist ein hervorragendes Material, wenn es richtig gehärtet wird. Habt Ihr Interesse?“
„Unbedingt!“ rief der Fürst begeistert. „Silberschwerter habe ich noch nie gesehen, das Material galt stets als zu weich.“
Marthian nickte und wollte etwas erwidern, doch da beschlich ihn plötzlich ein eigentümliches Gefühl. Tiefe Unruhe ergriff ihn, sein Herz begann zu rasen, Angst schnürte ihm die Kehle zu. Vor allem aber hatte er ein Gefühl, als bräche sein Herz. Gehetzt schaute er sich um und versicherte sich, daß es keinen Grund zur Sorge gab, doch dann begriff er, daß es nicht seine Angst war, die er spürte.
Er schob den Stuhl zurück und schaute in die Ecke, in der er Arinaya zuletzt bei Salistra gesehen hatte. Die beiden waren fort. Es entging Antarian nicht, daß Marthian plötzlich wie ein gehetztes Tier mitten im Raum stand, deshalb beeilte er sich, um zu ihm hinüberzugehen und sah ihn fragend an. „Was ist?“
„Wo ist meine Frau?“ fragte Marthian verwirrt.
„Oh, sie ist mit Salistra in den Park gegangen. Sie hat mir Bescheid gegeben. Warum, stimmt etwas nicht?“
„Kann ich nicht sagen“, erwiderte Marthian und hastete zur Tür. Er wollte gerade auf den Flur treten, als unvermittelt Salistra vor ihm stand und er fast mit ihr zusammengeprallt wäre.
„Oh, Marthian!“ rief sie überrascht.
„Wo ist Arinaya?“ fragte Marthian atemlos.
„Sie wollte im Park bleiben und bat mich, dich zu ihr zu schicken. Warum fragst du?“

Marthian gab keine Antwort. Er wußte, wann er seinen Gefühlen vertrauen konnte und daß Arinaya nicht bei Salistra war, war ihm Beweis genug. Ungeachtet irgendwelcher fragenden Blicke rannte er, so schnell er konnte, den Flur hinab und schlug sich zur Haupttür durch. Draußen angekommen, blieb er auf den Kieseln abrupt stehen und schaute sich um.
„Ari?“ rief er, so laut er konnte. „Wo bist du?“
Es kam keine Antwort. Marthian schluckte schwer, dann schloß er die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Der Ursprung des angsteinflößenden Gefühls, das ihn ergriffen hatte, lag hinter dem Palast. Kopflos rannte er hinüber und schaute sich um, doch im Halbdunkel des Parks konnte er nicht viel erkennen.
„Ari!“ rief er und lauschte. Als immer noch keine Antwort kam, rang er nach Luft und raufte sich die Haare. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Aber Salistra war gerade erst in den Palast gekommen, also war Arinaya nicht lang allein gewesen. Das war kaum eine Chance, ihr etwas anzutun!
Doch die in ihm tobenden Gefühle sprachen eine andere Sprache. Ohne eine Suche im gesamten Park zu beginnen, rannte er zurück in den Palast und stand fast wieder vor dem Thronsaal, als ihm Salistra und Antarian entgegenkamen.
„Was ist mit dir los?“ fragte Antarian kopfschüttelnd, als Marthian keuchend vor ihm stand.
„Wo war sie?“ fragte Marthian Salistra atemlos.
„Hinter dem Palast in der Nähe des Teiches“, erwiderte die Kronprinzessin. Ihre Worte trafen Marthian wie ein Hieb in den Magen, denn genau dort war er gerade noch gewesen.
„Marthian?“ fragte Antarian mit strengem Unterton.
„Es ist so“, begann Marthian keuchend, „ich kann Gedanken lesen. Das weißt du. Ich bin kein Vandhru, aber ich beherrsche viele ihrer Fähigkeiten. Vandhru spüren Gefühle, besonders die desjenigen, den sie lieben. Das kann ich auch. Ich bin mit meiner Frau auf ganz besondere Weise verbunden und ich spüre, wenn mit ihr etwas nicht in Ordnung ist.“

Antarian sah ihn skeptisch an. „So?“
„Ja, wenn ich es dir sage! Frag Varneas.“
„Und du spürst, daß etwas nicht in Ordnung ist?“
Marthian nickte. „Ja, vorhin ganz plötzlich. Sie hat Angst. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht.“
„Bist du sicher?“ fragte Salistra mit großen Augen.
„Absolut. Ich wußte auch, als sie letztes Jahr von Zartokh verschleppt wurde, diesem verfluchten Dämon.“ Unruhig fuhr Marthian sich durchs Haar, dann rannte er ohne ein weiteres Wort zurück.
„Verdammt, warte!“ rief Antarian, aber da Marthian stehenblieb, rannte er hinterher und holte ihn draußen auf dem Weg ein.
„Du bist vollkommen übergeschnappt!“ warf er Marthian an den Kopf, aber das war diesem egal.
„Ari!“ rief er laut und einvernehmlich, aber es kam keine Antwort. Augenblicke später öffnete sich die Tür und Salistra kam.
„Ich zeige dir, wo wir waren“, bot sie an. Sofort folgte Marthian ihr in die Düsternis des nächtlichen Parks. Als sie den Platz erreichten, an dem Salistra Arinaya allein gelassen hatte, stutzte auch sie, als dort niemand war.
„Sie wäre nicht weggegangen“, sagte Salistra kopfschüttelnd. „Sie wollte hier auf dich warten.“
„Ich weiß“, brummte Marthian. „War jemand in der Nähe?“
„Nein, niemand“, erwiderte Salistra.
„Sie könnte wer weiß wo sein“, versuchte Antarian, Marthian zu beruhigen, doch damit hatte er keinen Erfolg.
„Ich dachte, sie wäre sicher“, sagte Salistra leise. „Überall sind Wächter. Im Palast ist man doch sicher! Wäre ich nur bei ihr geblieben …“
„Glaubst du, sie ist fort?“ fragte Antarian unwirsch.
„Hier ist sie jedenfalls nicht!“
„Wir sind hier im Palast, Liebes. Sie kann nicht einfach verschwinden, das ist absurd.“
„Was ist, wenn jemand Marthian etwas Böses will? Dafür wäre sie ein gutes Druckmittel! Er wird bewundert und beneidet!“
Antarian überlegte für einen Moment, ehe er sagte: „In jedem Fall muß derjenige, der hier etwas anstellt – wenn es ihn gibt – auch im Palast sein. Er ist niemandem aufgefallen.“
Salistra schaute fragend zu Marthian, der ohne Unterlaß versuchte, zu spüren, wo Arinaya sich aufhielt, doch es gelang ihm nicht. Er spürte, daß sie ruhiger wurde, aber deshalb war noch längst nicht alles in Ordnung.
„Sie sollte nur kurz allein sein, während ich dich hole …“
„Es ist nicht deine Schuld“, erwiderte Marthian und griff nach ihrer Hand, dann drückte er sie fest. „Ich weiß nicht, was hier passiert, aber du hättest es gewiß nicht verhindern können.“
„Wenn ich mir vorstelle, daß jemand hier im Gebüsch gelauert hat … Er hat uns einfach belauscht! Das ist unerhört!“
„Warum sollte jemand das tun?“ fragte Antarian.
„Vielleicht ist es jemand, der …“ Salistra schluckte. „Vielleicht tut ihr jemand weh.“
Sie erschrak, als sie einen Blick von Marthian auffing, der jemanden hätte töten können. Der junge Waffenschmied schaute mit einem Male derart finster drein, daß es selbst Antarian auffiel.

„Was?“ fragte er.
„Wenn jemand meine Frau anrührt, ist er tot“, grollte Marthian. „Das ist keine Schwierigkeit, ich habe das schon einmal geschafft.“
„Du hast was?“ fragte Antarian entgeistert.
„Ich habe einen Kerl umgebracht, der es lustig fand, ihr weh zu tun und mir auch noch davon zu erzählen. Das hat er wirklich bereut.“
Antarian ließ das völlig unkommentiert, aber Marthian spürte, daß er es bestens nachvollziehen konnte.
„Gehen wir wieder hinein“, sagte der Prinz. „Ich werde alle Wächter bitten, sie zu suchen. Irgendwo muß sie sein.“
Marthian nickte und folgte ihm rastlos, als er plötzlich Salistras Hand auf seinem Arm spürte. Sie bedeutete ihm, langsamer zu gehen, und wisperte: „Sie hat mir erzählt, daß sie etwas Furchtbares erlebt hat. Sie hat auch erzählt, sie hätte den Verbrecher getötet – was meintest du denn vorhin?“
„Den anderen der beiden“, war Marthians knappe, aber bittere Antwort. Salistra erwiderte nichts. Sie betraten den Palast und gingen hinauf in den Thronsaal, während Antarian draußen mit den Wächtern sprach. Sogleich kam Varneas auf sie zu.
„Was in aller Welt ist hier los?“ fragte er. „Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“
„Arinaya ist verschwunden“, erklärte Marthian.
„Weißt du das?“
Marthian nickte. „Ich spüre es.“
Salistra bemerkte, daß Varneas das nicht näher kommentierte. Also stimmte es tatsächlich.