This is Norwich

Mein Urlaub in England ist fast zuende; im Augenblick nutze ich das WLAN in unserem Hotel in York. Wohlwissend, daß ich ihn brauchen würde, habe ich nämlich meinen Laptop mitgenommen und möchte von meinem Besuch in Norwich letzten Samstag berichten.
Was Recherche angeht, hätte ich theoretisch vorm Schreiben von „Am Abgrund seiner Seele“ herkommen müssen – könnte man sagen. Tatsächlich kann ich das aber nicht bestätigen, denn ich habe ja immer wieder das Internet bemüht und zudem überraschend viele Punktlandungen hingelegt.

Die University of East Anglia sieht nicht so aus, wie ich sie mir vorgestellt habe. Das Foto auf der Internetseite der Uni, das ich noch im Kopf habe, ließ mich eher an eine altehrwürdige Uni wie in Cambridge (eine der vielen) denken.
Die UEA ist viel moderner und um einiges größer. Praktisch für meine Anforderungen ist, daß es verdammt viele und weitläufige Grünflächen gibt…

Wir liefen einfach quer über die Wiese an der benachbarten Residence mit Namen Nelson Court vorbei. Ich fand, Residence klang vornehmer als Wohnheim. Ich verstand nur nicht ganz den Namenskult, der darum betrieben wurde. Es gab sogar Victory House, dessen Bewohner sich öfters Witze deshalb anhören mußten. Colman House, mein Zuhause, lag ein wenig abgelegen mitten im Grünen.
Wer nicht zur Eröffnungsparty des Semesters kam, war selbst schuld und außerdem lag die Universität außerhalb der Stadt. Sie war ein eigener Mikrokosmos, in dem ich mich nicht gleich zurechtgefunden hatte. Der moderne Campus mit den hellen Fassaden war ziemlich weitläufig und verfügte über viele Grünflächen, die für eine Auflockerung der nüchternen, wissenschaftlichen Atmosphäre sorgten.
Wir betraten das Union House und schlängelten uns zwischen teilweise recht schrill gekleideten Partygästen mit biergefüllten Plastikbechern in den Händen vorbei in den Keller unter der Mensa.

Ich habe mir auch den Lageplan genau angeschaut und ein paar Anpassungen im Text vorgenommen, um die Ereignisse ein bißchen besser an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen – zum Beispiel in der Szene, wo Andrea bei der Vergewaltigung dazwischengeht. Den Ort und den Ablauf habe ich ein wenig verändert.

Was hingegen perfekt gepaßt hat, war das Wohnheim. Es gibt mehrere Häuser, die über den Campus verstreut sind; darunter einige, die genau so sind, wie ich mir das gedacht habe. Neben dem Campus, etwas abgelegen, mit Parkplatz und Bushaltestelle in der Nähe usw.

Ich kann jetzt allem einen präzisen Namen geben und finde, daß es alles lebendiger und echter wirken läßt. Das gefällt mir gut.
Auch Norwich an sich hat bei mir einen Eindruck hinterlassen – es ist eine hübsche kleine Stadt, etwas ländlich, ziemlich malerisch und ruhig. Kleinstädtisch eher. Das ist ein großer Kontrast zu dem, was ich da passieren lasse…

Norwich war nicht sonderlich außergewöhnlich, wenn man von der malerischen Lage neben den weitläufigen Broads und der wunderschönen Kathedrale absah. Es war eine ländlich und familiär anmutende Stadt mit gepflegten, mitunter historischen backsteinverkleideten Häusern und engen Straßen. Mit dem Linksverkehr hatte ich immer noch meine Probleme und mit dem Essen genauso, aber bisher waren alle Tötungsversuche seitens der Mensa gescheitert. Aber auch, wenn ich die kulinarischen Vorlieben der Engländer immer noch nicht ganz durchschaut hatte, mochte ich ihre aufgeschlossene, warmherzige Mentalität und ihren Hang zum Kitsch.

am Ufer des Wensum

Elm Hill

Norwich Cathedral

Danach habe ich die Broads besucht. Dabei handelt es sich um einen Nationalpark – verdammt groß und teilweise sehr unzugänglich – also ziemlich perfekt. Und sehr idyllisch.

Ich habe mir auch die A47 angeschaut, die ich eingebaut habe – völlig zu Recht, denn sie führt vom Süden Norwichs mitten in die Broads und ist der Weg der Wahl für meinen Mörder.

Auf dem Rückweg zur Stadt habe ich auf einem Schild den Hinweis auf Swardeston entdeckt – damit habe ich einen Glückstreffer gelandet. Das ist ein klitzekleines Dorf außerhalb der Stadt, das exakt so aussieht, wie ich es mir vorgestellt habe. Klein, entlegen, weitläufige, zugewucherte Grundstücke… da würde niemand etwas merken.

Zuguterletzt habe ich mir noch den Bahnhof angeschaut, der ja immerhin auch mehrmals (wenn man an die Nachfolgergeschichten denkt) vorkommt. Winzig! Sechs Gleise, Endbahnhof, mehr nicht.

Der Bahnhof von Norwich war mit seinen sechs Gleisen nicht sonderlich groß und die Schienen führten auch nur in eine Richtung. Die Sonne erleuchtete das Innere des Bahnhofs durch die Glasscheiben auf dem Dach. Wenig später saßen wir im Zug und fuhren durch das ländliche Gebiet von East Anglia. Sanfte Hügel und abgeerntete Felder erstreckten sich, so weit das Auge reichte. Vereinzelte Bäume und Strommasten unterbrachen das Einerlei, ebenso wie die verstreuten Ortschaften auf dem Land.

Ich bin jedenfalls froh, daß ich meinen Laptop hier habe, denn erwartungsgemäß war das verdammt inspirierend und ich habe längst angefangen, alles umzuschreiben und anzupassen. Das ist gar nicht weiter schwierig, hat aber einen riesigen Effekt. Die Studentenwohnheime haben zum Beispiel Namen, über die sich gut etwas schreiben läßt, und ganz insgesamt ist es nicht schlecht, in England zu sitzen und genau zu wissen, wie alles aussieht. Dann muß man es sich nicht erst vorstellen!

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